Energie und Umwelt
Innovation und Technologietransfer

“Wasserstoff kann als Game-Changer gesehen werden”

20.03.2020

Grüner Wasserstoff kann ein Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche Energiewende in Deutschland sein. Vor allem der Norden des Landes spielt bei der Produktion eine entscheidende Rolle. Im Interview spricht die Vorsitzende der IHK Nord Janina Marahrens-Hashagen über die Produktion von grünem Wasserstoff für ein postfossiles Zeitalter, die Hindernisse auf dem Weg dahin und Beispiele für die Produktion von grünem Wasserstoff in Chile.

Interview von Sebastian Höing, Content Marketing Manager AHK Chile

Frau Marahrens-Hashagen, der US-amerikanische Bestsellerautor und Ökonom Jeremy Rifkin schrieb in seinem Buch “Third Industrial Revolution”, die Zeit für eine Energierevolution sei gekommen. Wird Wasserstoff die Energiewirtschaft umkrempeln und einen wesentlichen Anteil am postfossilen Zeitalter haben?

Ja, Wasserstoff kann definitiv als Game-Changer mit bedeutendem Einfluss auf unsere Mobilität, unsere Energieversorgung und die Industrie gesehen werden. Insbesondere für Norddeutschland bieten sich hier herausragende Chancen, da Norddeutschland den Zugang zum Meer und damit zur Offshore-Windenergie hat. Dieser Strom kann durch Elektrolyse zu grünem Wasserstoff umgewandelt werden. Die fünf norddeutschen Bundesländer sind in Deutschland Vorreiter und haben sich bereits Ende 2019 eine umfassende Wasserstoffstrategie gegeben, in deren Formulierung sich die IHK Nord intensiv eingebracht hat.

Warum kam es bisher noch nicht zum Durchbruch?

Bisher fehlten die strategischen Ansätze, Wasserstoff in großem Maße und in allen Bereichen des täglichen Lebens, von Verkehr bis hin zur Industrie, einzusetzen. Die erforderlichen Strategien werden derzeit entwickelt. Auch die deutsche Bundesregierung legt in Kürze eine Nationale Wasserstoffstrategie vor, um entsprechende Maßnahmen und Ansätze aufzuzeigen. Dabei sind wir als IHK Nord besonders daran interessiert, dass der regulatorische Rahmen angepasst wird. Derzeit ist die Wasserstoffproduktion für Unternehmen aufgrund der in Deutschland zu zahlenden EEG-Umlage bzw. der staatlich-induzierten Strompreisbestandteile noch nicht wirtschaftlich. Ebenso spielt das Thema Forschung bzw. Bildung und Akzeptanz eine wichtige Rolle. Hier muss die nötige Arbeit in den Schulen geleistet werden, um mögliche Ängste und Sorgen hinsichtlich der Nutzung von Wasserstoff abzubauen oder – besser noch - gar nicht erst entstehen zu lassen.

In Deutschland gewinnt das Thema Wasserstoffproduktion in Zeiten der Energiewende und als Lösung für Mobilitäts-, Wärme- und Energieprobleme zunehmend an Bedeutung. Warum ist gerade der Norden Deutschlands dabei so interessant?

Im Norden Deutschlands haben wir guten Zugang zu den in Nord- und Ostsee befindlichen Windparks. Der dort gewonnene Strom ist Grundlage für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Norddeutschland – und aufgrund der fehlenden Leitungskapazitäten in den Süden auch für die ganze Bundesrepublik. Norddeutschland kann diesen Vorteil nutzen, um das derzeit vorherrschende Süd-Nord-Gefälle bei vielen volkswirtschaftlichen Indikatoren auszugleichen oder sogar umzukehren. Wasserstoff hat das Potenzial, branchen- und sektorenübergreifend Wertschöpfung im Norden entstehen zu lassen. Uns bietet sich hier eine bedeutende wirtschafts- und strukturpolitische Chance, die wir mutig ergreifen müssen. Eine Energiewende in Deutschland wird ohne den Norden Deutschlands nicht gelingen!

Hier in Chile könnte das enorme Potenzial der Solarenergie für die Produktion von Wasserstoff eingesetzt werden. Gibt es dazu Beispielprojekte in Deutschland?

Ja, es gibt hier durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekte, an denen auch das Fraunhofer-Institut, Universitäten und Unternehmen beteiligt sind. Für die Förderung dieser sogenannten “Power-to-X”-Initiativen hat das BMBF über drei Jahre hinweg 180 Millionen Euro bereitgestellt. Auch das Bundesverkehrsministerium ermutigt mit seinem Wettbewerb „HyLand – Wasserstoffregionen in Deutschland“ Kommunen und Regionen in Deutschland dazu, regional für das Thema Wasserstoff zu sensibilisieren, Wasserstoffkonzepte zu entwickeln und konkrete Wasserstoff-Projekte umzusetzen. Ziel ist die Integration von erneuerbarem Wasserstoff in den Verkehrssektor, um den möglichen Beitrag zur Erreichung der CO2-Reduktionsziele aufzuzeigen. Das Gesamtvolumen des Projektes beträgt 195 Millionen Euro. Die Ministerien setzen sich also stark für zahlreiche Initiativen und Forschungsprojekte ein. Gleichwohl ist es besonders wichtig, aus dieser Projektphase auch in die tatsächliche Anwendungsphase zu kommen und Geschäftsmodelle für Unternehmen zu ermöglichen.

Auch einige deutsche Firmen sind in Chile mit Technologie an Projekten beteiligt. Welche Einsatzmöglichkeiten bietet Wasserstoff grundsätzlich?

Wasserstoff ist ein hervorragender chemischer Energiespeicher und -träger für erneuerbaren Strom. Insbesondere kann durch Wasserstoff das in Deutschland vorherrschende Problem der fehlenden Leitungskapazitäten gelöst werden, da Wasserstoff nicht an Stromleitungen gebunden ist, sondern auch gespeichert und transportiert werden kann. Mithilfe von Brennstoffzellen kann Wasserstoff in elektrische Energie umgesetzt werden, beispielsweise in Pkw, Lkw, Bussen und Zügen oder in der kombinierten Energieversorgung von Strom, Wärme und Kälte. Wasserstoff ist zudem Basisrohstoff für eine Vielzahl von energetischen und stofflichen Nutzungen, wie z.B. für synthetisch erzeugte Kraftstoffe im Verkehr und Transport. Der Mobilitätssektor ist daher für den Einsatz von Wasserstoff besonders prädestiniert. Aber auch in der Industrie bieten sich zahlreiche Einsatzmöglichkeiten.

Die Herstellung von grünem Wasserstoff ist sehr energieaufwendig. Wann rechnet sich die Produktion?

Es braucht, wie in den derzeit vorgelegten Strategien dargestellt, einen Markthochlauf, dann ergeben sich entsprechende Skaleneffekte. Eine deutliche Kostenreduzierung innerhalb der nächsten 10 Jahre ist absehbar, da die Produktionskapazitäten derzeit ausgebaut werden und auch die Einführung der CO2-Bepreisung bevorsteht. Wir erwarten, dass die Politik die staatlich-induzierten Preisbestandteile so weiterentwickelt, dass sich für die Unternehmen schnell attraktive Geschäftsfelder ergeben.

Sprechen wir über Mobilität der Zukunft, so führt fast kein Weg an Batterien für Autos oder Busse vorbei. Hat Wasserstoff gegenüber der Batterie Vorteile? Welche sind das?

Wasserstoff hat gegenüber der Batterie, insbesondere im Schwerlastverkehr, vor allem einen Gewichtsvorteil. Würde man einen LKW mit Batterieantrieb ausstatten, so könnte er nahezu keine Zuladung mehr aufnehmen, da das zulässige Gewicht bereits durch die Batterie selbst erreicht werden würde. Auch die Reichweite ist, verglichen mit einem Fahrzeug mit Batterieantrieb, deutlich größer. Ebenso ist die Anwenderfreundlichkeit hervorzuheben: der Tankvorgang unterscheidet sich kaum zur heutigen Tankfüllung mit Diesel oder Benzin. Allerdings geht es nicht um ein “Gegeneinander” der verschiedenen Antriebsformen – vielmehr sollte jede Antriebsform in den Bereichen eingesetzt werden, für die sie am besten geeignet ist. So eignet sich z.B. die Batterie für kurze Strecken mit dem Pkw, der Wasserstoffantrieb besonders für den Fern- und Schwerlastverkehr.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zeit nach der Energiewende in Deutschland aus und wie können andere Länder von dem Wissen profitieren?

Da das Gelingen der Energiewende von einer Vielzahl von nicht prognostizierbaren Faktoren abhängt, wird diese Frage wohl kaum jemand seriös beantworten können. Es gilt jedoch, die Herausforderungen international anzugehen, die Zusammenarbeit und den Wissenstransfer über Ländergrenzen hinweg zu fördern und so Skaleneffekte zu schaffen. Für Norddeutschland dürfen wir hoffen, dass sich die Region zu einem Hotspot der Wasserstofftechnologie entwickeln wird.

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